Das Thema Schwangerschaftsabbruch wird und wurde in verschiedenen Epochen und Kulturen, meist im Rahmen der vorherrschenden Religion, sehr unterschiedlich behandelt und bewertet. Im politischen Bereich wird es meist zur Repräsentation moralischer Ansprüche benutzt.
In Diskussionen zu diesem Thema werden oft nur religiöse Standpunkte diskutiert und solche, die nicht auf Glaubenssystem basieren, gern übersehen. Unbelastet von ideologischen Vorurteilen kommen säkulare VertreterInnen zu sehr unterschiedlichen Bewertungen des Schwangerschaftsabbruches. Zwischen den verschiedenen Positionen besteht grundlegende Einigkeit nur darin, dass für einen Menschen ein unveräußerliches Recht auf Leben besteht, Diskussion herrscht aber ganz wesentlich darüber, ab wann von einem „Mensch“ gesprochen werden kann. Radikalere Standpunkte gehen davon aus, dass dies erst mit der Entstehung des individuellen Selbstbewusstseins der Fall ist. Dies tritt aber erst mit ca. 2 – 3 Jahren ein. Andere setzen den Zeitpunkt früher an, nämlich mit der Entstehung der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit. In diesem Punkt wird die Auffassung vom Eintritt des Todes beim Menschen (in Europa: keine Hirnströme mehr messbar) logisch konsequent auf den mutmaßlichen Zeitpunkt seiner Entstehung übertragen. Die entsprechende Hirnentwicklung setzt aber erst zwischen der 20. und 40. Schwangerschaftswoche ein. Moderne medizinische Forschungen bestätigen diese Annahme. „Vor der 26. Woche ist die Hirnrinde nicht funktionsfähig. Deshalb ist es auf jeden Fall unzutreffend von einer «Wahrnehmung» oder einer «bewussten Reaktion» des Fötus zu sprechen.“ (Maria Fitzgerald, Prof. für Neurobiologie, London). Diese Attribute sind allerdings Voraussetzung, um von menschlichem Leben zu sprechen. Da biologisch nicht begründbar, wird in Religionen mit einer gottgegebenen Seele argumentiert, deren Annahme Grundlage der jeweiligen Position zu Schwangerschaftsabbrüchen ist.
Religion und Schwangerschaftsabbruch
Der Entstehungszeitpunkt der Seele, bzw. deren Einzug in den menschlichen Körper, ist also der entscheidende Punkt für Religionen und religiöse Strömungen, der deren Haltung gegenüber der Fristenlösung bestimmt.
Der folgende verkürzte Streifzug kann und soll keinen ausführlichen Bericht über die Bewertung von Schwangerschaftsabbrüchen in verschiedenen Religionen geben, sondern soll lediglich verschiedene Standpunkte anreißen:
In verschiedenen Naturreligionen gilt die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch entweder als Angelegenheit der Frau, oder wird, wie bei den Ureinwohnern Australiens gezielt zur Geburtenregelung eingesetzt. In den Ländern des fernen Ostens war die Abtreibung bis zu dem Zeitpunkt in dem die Bewegungen des Kindes spürbar wurden (ungefähr ab dem 5. Monat) legal. In der Philosophie der Brahmanen hatte das Kind bis zu diesem Zeitpunkt keine Seele und konnte deshalb straflos zerstört werden.
Sowohl im alten Griechenland wie auch im römischen Recht war Abtreibung ebenso wie Kindsaussetzung erlaubt – auch ein lebendgeborenes Kind bekam im römischen Recht erst durch die Anerkennung des Vaters ein Existenzrecht. Das antike Judentum war prinzipiell gegen Schwangerschaftsabbruch, es sei denn, das Leben der Mutter war durch die Schwangerschaft gefährdet und bewertete dahingehend auch die Praktik der Römer als verwerflich.
Das Christentum sprach sich seit jeher gegen Schwangerschaftsabbruch aus, auch wenn in der kanonisierten Bibel selbst keine Hinweise darauf zu finden sind. Die zitierten Passagen beziehen sich auf Kindstötung und nicht auf einen Abbruch der Schwangerschaft. Gegner des Abbruches waren auch Clemens von Rom und spätere Kirchenväter wie Basilius von Caesarea, Augustinus von Hippo oder Johannes Chrysostomus.
1869 erließ Pius IX. ein generelles Abtreibungsverbot und stellte fest, dass das Kind seine Seele bereits zum Zeitpunkt der Zeugung empfängt. Johannes Paul II. fasst die Stellungnahme der katholischen Kirche in der Enzyklika „Evangelium vitae“ 1995 mit folgenderweise zusammen: „Mit der Autorität, die Christus Petrus und seinen Nachfolgern übertragen hat, erkläre ich deshalb in Gemeinschaft mit den Bischöfen — die mehrfach die Abtreibung verurteilt und obwohl sie über die Welt verstreut sind bei der eingangs erwähnten Konsultation dieser Lehre einhellig zugestimmt haben — dass die direkte das heißt als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung immer ein schweres sittliches Vergehen darstellt nämlich die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt.“ Diese Position ist allerdings auch innerhalb der Kirche nicht unumstritten.
Schwangerschaftsabbruch als Frauenrecht
Ein wichtiges Element in der patriarchalen Gesellschaft war und ist der Versuch den Körper der Frau und insbesondere ihre Sexualität zu kontrollieren. Religiöse Gruppen versuchen diesen patriarchalen Ansatz mit religiöser Legitimation immer noch durchzusetzen.
Moderne Verhütungsmittel, sowie das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch, sind grundlegende Elemente für die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper. Diese Körperautonomie ist der Grundstein für die Befreiung von patriarchaler, religiöser und traditioneller Fremdbestimmung.
Durch Epochen und Kulturen hindurch wurde und wird Schwangerschaftsabbruch betrieben. Ist dieser illegal, wird er meist von unqualifizierten Menschen unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt und bringt enorme Risiken mit sich. Selbst wenn ein Abbruch gesetzlich möglich wäre, sind entsprechende Einrichtungen oft nur sehr schwer zu erreichen oder ist die Behandlung zu kostspielig. Auch dann kommt es zu risikoreichen Abbrüchen.
Die Fristenlösung stellt deshalb eine wichtige Errungenschaft dar und muss gegen die Angriffe radikaler AbtreibungsgegnerInnen als Minimalforderung verteidigt werden. Eine Legalisierung der Abtreibung anstelle der derzeitigen Lösung über Straffreiheit wäre wünschenswert. Unabhängig von der konkreten Ausformung der entsprechenden Regelung ist es darüber hinaus nötig jene Gruppen zu bekämpfen, die durch Terror vor Kliniken Frauen einzuschüchtern versuchen. Dies muss auch auf der rechtlichen Ebene geschehen. Ein Erfolg ist hier bereits im März 2004 erzielt worden. In einem Prozess gegen HLI wurde festgestellt, dass deren Praktiken als „Psychoterror“ und „Lügenpropaganda“ bezeichnet werden dürfen. Der Direktor von HLI Österreich, Dietmar Fischer, hatte geklagt, hatte aber aufgrund des besonders aggressiven Auftretens seiner Gruppe mit der Klage keinen Erfolg.
Schwangerschaftsabbruch in Österreich
In Österreich ist Schwangerschaftsabbruch seit 1975 straffrei vorausgesetzt er wird in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten nach einer ärztlichen Beratung von einem Arzt/einer Ärztin vorgenommen.
Bereits 1926 strebten die Sozialdemokraten Straffreiheit für Fristenlösung an durch Abschaffung des § 144 des Strafgesetzbuchs. Dieser geht auf die Zeit Maria Theresias zurück und wurde mit dem Beginn der zweiten Republik erneut eingeführt. Während der NS-Zeit stand auf Schwangerschaftsabbruch die Todesstrafe. In den harten Kontroversen vor der Abschaffung standen sich das „Aktionskomitee zur Abschaffung des § 144“ mit u.a. Eva Kreisky, Irmtraud Goessler, Rosemarie Fischer und Gertrud Edlinger und die als Antwort auf die Bestrebungen zur Fristenlösung gegründete „Aktion Leben“ gegenüber. Letztere führten eine Unterschriftenaktion in ganz Österreich durch, um das Vorhaben zu verhindern.
Vor allem auch von Seiten der katholischen Kirche kam Widerstand, so drohte Kardinal Franz König etwa als Sprecher der Bischofskonferenz, die Abschaffung des § 144 würde zur Abkühlung der Beziehungen zwischen Kirche und Regierung führen.
Kreisky konterte, dass die Fristenlösung „den Schutz des werdenden Lebens nicht minder als der bisherige Paragraph zum Ziel haben“, dieser aber „gerechter, menschlicher und wirkungsvoller“ sei. Denn geltende Strafbestimmungen, so Kreisky, hätten nicht zur Eindämmung der illegalen Abtreibung beigetragen. Justizminister Broda erweiterte, Abtreibung sei vor allem ein gesellschaftspolitisches und nur am Rande ein strafrechtliches Problem. Bei damals geschätzten 30.000 bis 40.000 jährlich in Österreich durchgeführten Abtreibungen käme es im Schnitt zu 126 Verurteilungen. „Es ist ein purer Zufall, ob eine Frau, die abgetrieben hat, vor Gericht gestellt wird oder nicht“, so der Minister.
Da eine politische Bekämpfung der Fristenlösung heute aussichtslos erscheint, sind radikale Gegner des Schwangerschaftsabbruches zu Psychoterror übergegangen. Sie stehen heute vor Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche angeboten werden und belästigen Klientinnen, beschimpfen sie und bezichtigen sie gemäß ihrer Ideologie des Mordes. Viele dieser Gruppierungen arbeiten eng mit der katholischen bzw. evangelischen Kirche zusammen. Eine der größten Gruppierungen ist die 1981 von dem Benediktinerpater Dr. Paul Marx gegründet „Human Life International“, sie ist laut eigenen Angaben in 80 Ländern vertreten.
Von AbtreibungsgegnerInnen verbreitete Behauptungen
– Durch Schwangerschaftsabbruch entstehe ein „Post Abortion Syndrom“. Dabei soll es sich um eine Posttraumatische Belastungsstörung handeln, die sich durch sehr unterschiedliche Symptome (wie Trauer, Angst, Beziehungsprobleme, …) zeigen soll. Weiters wird postuliert, dass Frauen, die nicht unter diesen Symptomen leiden, den Schwangerschaftsabbruch lediglich verdrängen. Anders als von radikalen Gegnern dargestellt, handelt es sich dabei allerdings nicht um eine allgemein anerkannte Erkrankung. Weder das medizinische Diagnoseschema ICD-10 noch das psychologisch-psychiatrische Diagnoseschema DSM IV kennen den Begriff. Eine große Anzahl von Studien zeigt auch auf, dass ein Schwangerschaftsabbruch das Risiko für ernste psychische Probleme nicht erhöht. Eine Variation davon stellt das „Post Abortion Survivor Syndrom“ dar. Hier wird behauptet, dass spätere Kinder einer Frau, die eine Schwangerschaft abgebrochen hatte, unter dem früheren Abbruch leiden. Auch dieser Begriff bzw. das damit beschriebene Krankheitsbild kommt in medizinischen Diskursen nicht vor.
– Die meisten Bilder, die Demonstranten gegen Abtreibungen verwenden, sind entweder bearbeitet oder Bilder von Spätabtreibungen aufgrund einer schweren Fehlbildung des Fötus oder Erkrankung der Frau. Der größte Teil aller Abtreibungen wird aber vor der 10. Schwangerschaftswoche durchgeführt, sehr viele Abbrüche sogar vor der 6. Woche. Damit stellen solche Bilder, wieder emotional manipulierend, eine mutwillige Irreführung dar. In der 10. Schwangerschaftswoche ist der menschliche Embryo etwa 19 bis 24 mm lang.
– Eine weitere Taktik ist das Anbieten einer scheinbar neutralen Beratung. Aktion Leben Österreich behauptet von ihrem Beratungsangebot: „Unsere Beratung ist non-direktiv. Keinesfalls werden unsere Beraterinnen Sie überreden oder Ihnen sagen, was Sie tun sollen. Sie treffen Ihre eigene Entscheidung.“ Allerdings wird von Aktion Leben häufig betont, dass ab der Befruchtung der Eizelle ein Mensch mit dem Recht auf Leben besteht. So heißt es in ihrem Leitbild: „Jede und jeder von uns hat als Embryo mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzellen begonnen. Jedem Menschen kommt von Anfang an bis zum Tod Menschenwürde zu. Sein Leben ist schützenswert.“ Unter diesen Voraussetzungen muss bezweifelt werden, dass die Beratung alle Möglichkeiten einer Frau, die sich von Aktion Leben beraten lässt, gleichermaßen in Betracht gezogen werden. In diesem Punkt unterscheidet sich die als gemäßigtere angesehene „Aktion Leben“ damit nicht grundlegend von extremistischen Gegnern des Schwangerschaftsabbruchs.
– Die deutsche Webseite „babycaust.de“ maßt sich an, die Fristenlösung mit dem Holocaust zu vergleichen. Dieser Vergleich entbehrt selbstverständlich jeglicher Grundlage, versucht auf populistische und hetzerische Weise emotional zu manipulieren und verhöhnt damit auch die Opfer des Holocaust.
Quellenverweise
http://diestandard.at/969482/Wie-es-zur-Fristenloesung-kam
http://www.historisch.apa.at/cms/apa-historisch/dossier.html?dossierID=AHD_19750101_AHD0001
http://www.ucl.ac.uk/npp/research/mfi (CV Maria Fitzgerald)
2004, L’hoste, Sibylle H., „Ambivalenz der Medizin am Beginn des Lebens. Der Schwangerschaftsabbruch.“, Münster
http://abtreibung.at/fur-allgemein-interessierte/mythen-und-fakten
www.apa.org, abortion report
http://www.vatican.va/edocs/DEU0073/_INDEX.HTM